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Dialog in der Kommunikation von Wissen – Ein Erfahrungsbericht

Sigrid Peuker

Alan Webber (Herausgeber der Harvard Business Review): The most important work in the new economy is creating conversations.

Larry Prusak: A reporter once called me and said, "Tell me everything you know about knowledge management in one sentence." I said, "Hire smart people and let them talk“.

Wer jetzt an Meetings denkt, bei denen viel geredet aber nichts gesagt wird, an Selbstdarstellung, Monologe oder Machtspiele, hat ein Bild vor Augen, das nicht nur in Unternehmen, sondern auch im privaten und gesellschaftlichen Leben – leider – zum Alltag gehört. Diese übliche Form der Kommunikation hilft uns nicht, zu lernen und Vertrauen und Respekt in unsere Beziehungen zu bringen, um uns auf diese Weise zu entwickeln oder unsere Lernprozesse und unsere Arbeit den gegenwärtigen Veränderungen anzupassen.

Wer dagegen einen Dialog miterlebt hat, und ich meine damit nicht, einmal an einer Dialogsitzung teilgenommen zu haben, sondern ich spreche von einem längeren Dialogprozess, der sich über Jahre hinziehen kann, wird in den Eingangszitaten etwas anderes lesen. Sie oder er wird an Gesprächskreise denken, bei denen alle zu Wort kommen, bei denen alle Beiträge wertgeschätzt aber auch hinterfragt werden, bei denen Perspektiven erweitert und neue Erkenntnisse gewonnen werden, und bei denen vor allem eine Atmosphäre entsteht, die von Respekt und Vertrauen getragen ist.

Das macht es möglich, wirklich voneinander zu lernen und zwar nicht nur im Sinne einer Mitteilung oder eines Aufnehmens von Informationen. Wirkliches Lernen voneinander ist ein Lernen miteinander, ein gemeinsames Sich-Entwickeln, sowohl als Individuum, als auch als Organisation.

Wissensarten und ihre Weitergabe

Wissensmanagement ist bisher von informationstechnischen Aspekten dominiert worden, die Ergebnisse der Einführung neuer Techniken haben aber enttäuscht. Lernen findet auf vielerlei Arten statt, und natürlich auch durch Aufnahme von Informationen aus verschiedenen Quellen. Informationssysteme, die zu jeder Zeit und von jedem Ort aus Zugriff auf Dokumente, Datenbanken, Artikel usw. bieten, sind hier von großem Nutzen. Je nach Art des Wissens bzw. der Information und nach Aufgabe erfordern die Formen des Lernens und des Wissensaustauschs jedoch sehr unterschiedliche Methoden und Mittel.

Geht es um Lernen im Sinne einer Weiterentwicklung von Menschen oder Organisationen, ist Lernen an das Gespräch gebunden, das dann als etwas spezifisch Menschliches in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Das gilt sowohl für das Wissen des Individuums und damit für persönliche Kompetenzen, als auch für das Wissen von Gruppen oder Organisationen. Diese Bereiche sind nicht zu trennen, auch wenn sie oft getrennt analysiert und beschrieben werden. So wie Wissen von der Biographie eines Menschen abhängt, so hängt es auch vom Kontext seiner Entstehung und damit von intersubjektiven Prozessen des Wissenserwerbs oder der Weitergabe von Wissen ab (s. Berger/Luckmann 2004, im Original 1966).

Die Entstehung von Wissen im Kontext sozialer Zusammenhänge ist somit auf Kommunikation angewiesen. Eine Verbesserung der Wissensbasis von Organisationen gründet damit auf verbesserter Kommunikation.

Um Kommunikation zu verbessern werden je nach Situation, Kontext und Absicht unterschiedliche Instrumente eingesetzt. Die jeweiligen Anforderungen zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten erfordert hohe persönliche, kommunikative und soziale Kompetenz. Damit sich diese Kommunikationsfähigkeiten entwickeln können, braucht es einen Rahmen und Bedingungen, die die vielfältigen dabei ablaufenden Prozesse zulassen.

Dazu gehört neben Zeit und Raum zum Reden, Reflektieren und Lernen auch eine Kultur des Respekts und Vertrauens. Es muss Zeit zur Verfügung gestellt werden, auch im Sinne von Langfristigkeit, damit sich Dinge entwickeln und verändern können. Dies läuft dem Effizienz- und Effektivitätsdenken in vielen Organisationen erst einmal zuwider. Räume müssen geschaffen werden nicht nur im Sinne von Orten, sondern im Sinne einer Etablierung von regelmäßigen Gesprächen, deren Regeln und Durchführung die Fähigkeiten aller Teilnehmenden zutage bringen. Respekt und Vertrauen entstehen ebenfalls nicht von allein, sondern sie entwickeln sich im Laufe der Zeit und nur wenn die Kultur des Umgangs miteinander es zulässt. Sie beruhen auf Gegenseitigkeit, die gerade beim Austausch von Erfahrungswissen und sehr persönlichem Wissen wichtig ist. Informationen werden leicht weitergegeben, aber Wissen, das sich jemand mit hohem Aufwand, Kosten oder schmerzlichen Erfahrungen erworben hat, ist etwas zutiefst persönliches und verlangt für seine Weitergabe auch persönliche Beziehungen. Nancy Dixon (Dixon 2000), die eine Typisierung von Wissensaustausch nach den Kriterien Empfänger, Aufgabe und Art des Wissens entwickelt hat, gibt an, dass für implizites Wissen, das nicht durch Routineaufgaben erworben wurde, und das in andere Kontexte übertragen werden soll, Reziprozität entscheidend ist. Dieses Wissen muss in gegenseitigem intensiven Austausch gemeinsam übersetzt werden (a.a.O. S. 96ff).

Dialog als Methode

Bei meiner Suche nach Methoden für die Kommunikation von Erfahrungswissen bin ich vor einigen Jahren auf das „Fieldbook zur Fünften Disziplin“ von Peter Senge et al. gestoßen (Senge et al. 1996). Dort werden im Kapitel zum Team-Lernen der Dialog und die qualifizierte Diskussion als die für das Lernen wichtigsten Diskursformen angeführt (a.a.O. S. 407ff).

William Isaacs beschreibt darin (a.a.O. S. 412ff) die am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelte Methode des Dialogs. Dabei wird Dialog als ein reflexiver Lernprozess gesehen. Die Forschungsarbeit des Dialogue Project am MIT überträgt Dialogtheorieansätze in die Praxis und will sie zu einer Handlungsgrundlage ausbauen.

Die Erkenntnisse des MIT Dialogue Project haben mich veranlasst, diese Methode sowohl im universitären Kontext, als auch in eigenen Dialogprojekten einzusetzen. Bei der weiteren Beschreibung der Methode und ihrer Ergebnisse fließen deshalb meine Erfahrungen aus vier Jahren Dialogpraxis in zweierlei Form ein. Zum einen habe ich diejenigen Aspekte aus der Literatur ausgewählt, die mir besonders wichtig erscheinen, daneben beschreibe ich aber auch eigene Erkenntnisse.

Der Ansatz von Isaacs von Dialog als reflexivem Lernprozess stützt sich vor allem auf drei Denker des zwanzigsten Jahrhunderts (a.a.O. S. 414):

Dass es ausgerechnet ein Physiker ist, der sich mit Kommunikation befasst, mag auf den ersten Blick verwundern. Es sind jedoch gerade in der Physik viele Erkenntnisse dadurch gewonnen worden, dass intensive Gespräche zwischen Kollegen geführt wurden. So schreibt Heisenberg (Heisenberg 2003): „Naturwissenschaft beruht auf Experimenten, sie gelangt zu ihren Ergebnissen durch die Gespräche der in ihr Tätigen, die miteinander über die Deutung der Experimente beraten. Solche Gespräche bilden den Hauptinhalt des Buches. An ihnen soll deutlich gemacht werden, dass Wissenschaft im Gespräch entsteht.“ (a.a.O. S. 7)

Obige drei Denkansätze fließen in der Dialogmethode zusammen. Dialog als Form des intensiven Gesprächs und als Mittel, zu Erkenntnis zu gelangen, ist jedoch wesentlich älter und wird auch heute noch in vielfältiger Weise angewandt. Verwiesen sei hier u.a. auf Ergebnisse der Ethnologie, die in ihren Forschungen z.B. die Gespräche oraler Kulturen untersucht und feststellt, dass einige Regeln und Ziele des Dialogs in fast allen Kulturen zu finden sind. So sitzen in vielen Kulturen die Menschen bei ihren Besprechungen im Kreis, und das Gespräch ist die wichtigste Form der Weitergabe von Wissen. Seit dem Altertum bekannt und etabliert ist der sokratische Dialog. Hierbei werden Fragen gestellt, um Erkenntnisprozesse in Gang zu setzen (im Gegensatz zu den Sophisten, die belehrten). Das Suchen ist dabei wichtiger als das Finden. Die Selbständigkeit des Denkens ist höher zu werten als das Eintrichtern und Akkumulieren von Wissen. Der sokratische Dialog schlägt sich in unserer Zeit z.B. im „Entdeckenden Lernen“ der Pädagogik nieder.

Mit „Dialog“ ist also nicht eine beliebige Form des Gesprächs gemeint, sondern eine Form, die sich von Alltagsgesprächen und Diskussionen unterscheidet. Das bedeutet wiederum nicht, dass Dialog erst ganz neu erlernt werden muss. Es gibt, und das wird in den Dialoggruppen immer wieder formuliert, ein sehr starkes Bedürfnis nach intensivem und tiefem Austausch mit Menschen. Und dieses Bedürfnis könnte nicht da sein, wenn wir nicht alle bereits Erfahrungen damit gemacht hätten.

Der Dialogbegriff

Der Begriff Dialog wird sehr uneinheitlich benutzt. Oft wird er missverstanden einfach als ein Gespräch zwischen zwei Menschen und in Unterscheidung zum Monolog. Und weil alle vom Dialog reden, z.B. die Werbung vom Dialog mit dem Kunden, die Unternehmenskommunikation vom Dialog mit der Öffentlichkeit, die Politik vom Dialog mit dem Bürger usw., wird der Begriff inzwischen für alles verwendet, was nur irgendwie mit Kommunikation zu tun hat. Ein anderes Verständnis von Dialog hat mit Harmonie zu tun, mit dem Nicht-Aussprechen der eigenen oder dem Akzeptieren der Meinung anderer, um nur ja Konflikte zu vermeiden.

Aber: Zwei Monologe geben noch keinen Dialog und Überredungs- oder Überzeugungsversuche tun dies auch nicht. Und ein Dialog ist keineswegs harmonisch! Denn der Dialog ist ja gerade an der Meinung des anderen interessiert, er will ja gerade die zugrundeliegenden unterschiedlichen Annahmen und Weltbilder aufdecken, er will sich ja gerade auseinandersetzen.

Um das Wesen des Dialogs zu begreifen, kann es hilfreich sein, ihn von der Diskussion abzugrenzen. Das Wort Diskussion hat dieselbe Wurzel wie Perkussion und hat damit zu tun, dass etwas aufgebrochen wird. Bei der Diskussion geht es darum, Argumente auszutauschen, Positionen zu verteidigen oder zu Entscheidungen zu kommen. Damit wird bewertet und ein Ergebnis oder Konsens festgeschrieben.

Der Begriff Dialog kommt von griechisch "dia" (durch) und "logos" (das Wort, der Sinn). Dialog ist das ungehinderte Durchfließen von Sinn, von Bedeutung in einer Gruppe. Beim Dialog geht es darum, über die Grenzen des individuellen Verstehens hinaus zu kommen. Scheinbare Selbstverständlichkeiten werden erforscht, die Kontexte von Erfahrungen werden offen gelegt und bewusst gemacht. Schwierige, komplexe Fragen werden unter verschiedenen Blickwinkeln untersucht. Niemand muss sich auf seine Meinungen festlegen, aber alle können ihre Annahmen mitteilen. Im Dialog entstehen dadurch neue Erkenntnisse und Einsichten auch in bereits Bekanntes. Es findet wirkliches Lernen statt, da es als Prozess weitergehen kann auch über den Dialog hinaus. Gemeinsam mit anderen Menschen können so Ideen entwickelt werden, auf die man alleine nie gekommen wäre. Oder es wird ein Verständnis für komplexe Fragen gewonnen, das ein Mensch alleine nie gewonnen hätte. Es geht darum, den anderen Wissen, Erfahrungen, Annahmen und Perspektiven mitzuteilen, gemeinsam zu reflektieren und dadurch mehr und andere Sichtweisen zu entwickeln. Es geht nicht um Beurteilung oder Bewertung, um Ablehnung oder Zustimmung.

Ein Dialog ist nicht planbar, er zielt auf kein Ergebnis und ist offen für alles, was geschehen mag. Oft stiftet er zunächst einmal Verwirrung, weil unterschiedliche Perspektiven nebeneinander stehen oder etwas, das für wahr gehalten wurde, plötzlich unsicher ist. Wer sich auf Dialog einlässt, muss die eigenen Positionen in Frage stellen, muss Dinge oft ganz neu überdenken, muss neu ordnen.

Das folgt auch daraus, dass es im Dialog keine Autoritäten gibt, keine Experten. Es geht nicht darum, etwas zu wissen, sondern darum, den Prozess des miteinander Denkens in Gang zu bringen. Alle Sichtweisen, Theorien und Meinungen sind ernst zu nehmen und alle können hinterfragt und in Frage gestellt werden. Die mentalen Modelle der Teilnehmenden werden erkundet.

Hier wird ein anderes Verständnis von Wissen sichtbar. Wissen ist nicht nur das Wissen von Experten, die um Rat gefragt werden oder entscheiden. Wissen ist hier etwas, das alle haben, bei jedem finden sich Kenntnisse und Erfahrungen, die für Aufgaben wichtig sind und die zusammen ein neues Bild ergeben. Damit wird das Wissen jedes Einzelnen wertvoll, alles was zum Thema beiträgt ist wichtig.

Zudem ist das Wissen der Gruppe dann, wenn es zusammengeführt wird, etwas ganz anderes als das Wissen des Individuums. Innerhalb der Gruppe zeigen sich ganz andere Möglichkeiten, wenn die Menschen sich an der Entwicklung von Wissen beteiligen, indem sie miteinander interagieren. Hier zeigt sich die soziale Konstruktion von Wissen, wenn oft nicht nachvollzogen werden kann, woher eine Idee kommt, da sie im Gespräch entstanden ist.

Durch die gemeinsame Konstruktion von Wissen wird dessen Dynamik sichtbar. Wissen ist nichts Statisches, sondern wird immer wieder in verschiedenen Kontexten und anderen Situationen neu erzeugt. Durch jede Reflexion verändern sich Einsichten und Erkenntnisse, jede Nutzung von Wissen verändert das Wissen selbst. Wir passen das Wissen den jeweiligen Erfordernissen an (zu den letzten drei Absätzen s. auch Dixon 2000).

Bedingungen, Haltungen und Kompetenzen für Dialog

Weil wir uns beim Dialog öffnen, unsere Weltbilder und Annahmen offenlegen, unsere Gewissheiten in Frage stellen müssen, braucht es einen geschützten Raum, in dem wir uns sicher fühlen. Gerade wenn Unterschiede an die Oberfläche kommen, müssen wir Vertrauen haben können, dass respektvoll und achtsam damit umgegangen wird. Den Unterschieden der Menschen muss ein Raum gegeben werden, in dem ihnen nicht etwas zugeschrieben wird, sondern in dem die Vielfalt und Widersprüchlichkeit anerkannt werden. Dieser geschützte Raum wird dadurch geschaffen, dass bestimmte Bedingungen erfüllt und besondere dialogische Haltungen eingenommen werden.

Die Grundbedingung für Dialog ist die Freiwilligkeit der Teilnahme. Die Motivationen können unterschiedlich sein und von Neugier über konkrete Anliegen bis zum Wunsch, mit anderen Menschen in eine tiefe Beziehung zu treten, reichen. Beim Dialog genügt eine Person, die sich dagegen sperrt, die nicht offen dafür ist, und das Gespräch wird kein wirklicher Dialog.

Die Teilnehmenden müssen außerdem bereit sein, ihre Grundannahmen in Frage zu stellen bzw. sie hinterfragen zu lassen. Sie müssen bereit sein, sich als gleichwertig anzuerkennen, sich zu respektieren und authentisch zu sein ohne etwas vorzuspiegeln. Das geht oft nicht sofort, sondern ist ein Lernprozess. Dadurch ändert sich die Beziehung zwischen den Teilnehmenden, es gibt keine Hierarchien, sondern alle sind gleich wichtig.

Dadurch und durch die Bereitschaft, eigene Sicherheiten und Überzeugungen in Frage zu stellen, wird erst der gemeinsame Boden des Fragens und Untersuchens geschaffen. Aus dem Monolog des Belehrens wird der Dialog des gemeinsamen Lernens.

Dialog ist deshalb eine Methode, die für viele Anforderungen eingesetzt werden kann: für persönliche und organisationale Entwicklung, für Umgang mit Komplexität und Verschiedenheit, oder auch für die Schaffung einer Unternehmenskultur, die Lernen und Wandel fördert.

Auch im Umgang mit Menschen unterschiedlicher kultureller, sozialer und persönlicher Hintergründe, die ja ein besonders großes Potenzial für neue Sichtweisen oder Lösungsmöglichkeiten bieten, ist Unsicherheit und damit Vermeidung von wirklicher Kommunikation weit verbreitet. Die Komplexität, die hier entsteht, muss erfasst, Relevantes erkannt und Unsicherheit vermindert werden. Hier ist Dialog ebenfalls ein Mittel, alle unterschiedlichen Stimmen an die Oberfläche kommen zu lassen und sie zu hören. Dafür braucht es bestimmte Haltungen, die eine Atmosphäre kreieren, in der alle den Mut und die Motivation haben, sich zu Wort zu melden.

Dialog sieht, oberflächlich betrachtet, einfach aus. Eine Gruppe von Menschen sitzt im Kreis und jeweils nur einer spricht, die anderen hören zu. Einige Gruppen nutzen Hilfsmittel wie z.B. Redestein oder Redestab, um den Dialog zu strukturieren, andere arbeiten ohne diese Mittel. Je nach Dialogvorbild gibt es Regeln wie bei Hartkemeyer und Dhority (Hartkemeyer & Dhority 1998) oder aber es wird davon ausgegangen, dass Dialog ein erkundender Prozess ist, dessen Bedeutung und Methode sich von selbst entfalten (Bohm et al. 1991). Aufgrund dieses Prozesses ist für Bohm die Essenz des Dialogs das Lernen. Nicht das Lernen, das durch den Konsum von Informationen oder durch Belehrung durch eine Autorität stattfindet, noch durch das Untersuchen oder Kritisieren von Theorien oder Programmen. Es findet ein Lernen statt als Teil des sich entfaltenden Prozesses kreativen Austauschs (a.a.O.). Diese Form der Kommunikation entspricht nicht unseren üblichen Erfahrungen mit Lernsettings. In diesem Zusammenhang müssen wir Dialog erst erlernen. Bohm gibt an, dass Dialoggruppen mindestens ein bis zwei Jahre miteinander arbeiten sollten, damit sich das dialogische Prinzip entwickelt und die Menschen wirkliche Dialoge führen können. Das Erlernen des Dialogs findet im Dialogprozess selbst statt, indem dieser selbst immer wieder reflektiert wird und sich im Laufe der Zeit verändert.

Die von David Bohm beschriebenen dialogischen Haltungen sind von William Isaacs beim MIT Dialogue Project weiterentwickelt und in seinem Buch „dialogue and the art of thinking together“ beschrieben worden (Isaacs 1999). Isaacs belegt dort die für Dialog wichtigsten vier Haltungen mit Begriffen, ordnet sie Prinzipien zu und gibt Hinweise, wie sie erreicht werden können.

  1. Das Herzstück des Dialogs ist für ihn „Listening“, das Zuhören. Wir hören nicht nur denjenigen, die gerade sprechen, zu, sondern auch uns selbst. Dafür treten wir innerlich einen Schritt zurück und beobachten das, was wir denken während jemand spricht. Und wir achten auf die Gefühle, die dabei in uns entstehen. Denn nur dann können wir unterscheiden zwischen dem, was die anderen sagen und dem, was die eigenen Gedanken, die eigenen Erinnerungen oder Meinungen sind. Isaacs führt hier die Abstraktionsleiter an, die Chris Argyris als ein einfaches Modell entwickelt hat (s. Senge et al. 1996, S. 279ff), wie wir automatisch und fast zeitgleich unsere Beobachtungen der Welt mit unseren Weltbildern abgleichen und das, was wir in einem bestimmten Moment wahrnehmen, auf der Basis unserer Überzeugungen interpretieren. Und dabei ziemlich oft falsch liegen. Hier zeigt sich auch, dass Wissen Lernen behindern kann, weil wir oft Neues oder alternative Möglichkeiten nicht bemerken, sondern alles in uns bekannten Mustern interpretieren, beurteilen und bewerten.

  2. Das zweite zentrale Element beim Dialog ist „Respecting“, die wertschätzende Begegnung mit Menschen. Die Menschen sollen so anerkannt werden, wie sie sind. Ihre Erfahrungen sollen nicht abgewertet werden, sondern sind legitim und wir können von allen diesen Erfahrungen lernen. Respekt bedeutet auch das Anerkennen von Grenzen. Sie einerseits nicht zu überschreiten, sich andererseits auch nicht zu distanzieren. Respekt bedeutet hier, Dinge stehen zu lassen, sie nicht zu korrigieren, die anderen nicht überzeugen zu wollen von der eigenen Ansicht. Stattdessen mehrere Perspektiven und Meinungen nebeneinander zu akzeptieren. Gerade dann, wenn die Sichtweisen der Menschen sehr unterschiedlich sind, liegt darin ein großes Lernpotenzial. Die beste Art, unsere eigenen Annahmen zu erkennen ist, mit Sichtweisen konfrontiert zu werden, die sich von unseren unterscheiden. Die Differenzen sollen nicht aufgelöst werden, sondern einfach nur geklärt. Dahinter steht auch die Erkenntnis, dass wir alle nur einen kleinen Teil der Realität erkennen können und deshalb für ein größeres Bild auf die anderen angewiesen sind.

  3. Als eine der größten Schwierigkeiten beim Dialog beschreibt Isaacs das „Suspending“, das „In der Schwebe halten“ von Gedanken, Urteilen, Annahmen und Gewissheiten. Hierbei wird reflektiert, wie diese zustande kommen. Es wird weder etwas unterdrückt noch wird für etwas Stellung bezogen. Wir erklären was wir denken und was hinter unserem Denken steckt. Wir machen unser Denken für die anderen nachvollziehbar. Vielleicht betrachten wir es selbst aus unterschiedlichen Blickwinkeln, wägen ab, überlegen neu. Dabei ist es wichtig, zwischen sich selbst und dem eigenen Denken zu unterscheiden. Nur wenn wir uns nicht mit unserem eigenen Denken identifizieren, fühlen wir uns auch nicht angegriffen, wenn unsere Ansichten nicht geteilt werden. Das „In der Schwebe halten“ können wir auch nutzen, um uns klar zu werden, was unsere Position ist. Auch dies ist eine Haltung des Lernens und keine des Wissens, eine Offenheit für das, was sich im Verlauf des Dialogs entwickeln wird.

  4. „Voicing“, dem eigenen Inneren eine Stimme zu geben, ist eine große Herausforderung. Es bedeutet authentisches Sprechen, das Aussprechen dessen, was für einen selbst wahr ist, ohne Angst, dafür zurückgewiesen oder verlacht zu werden. Es bedeutet, ohne Selbstzensur zu reden und es bedeutet auch, den Mut zu haben, zu sagen was wir denken. Das hat auch zur Folge, dass nichts Unnötiges gesagt wird, dass nichts einfach nur gesagt wird um etwas gesagt oder sich produziert zu haben. Niemand redet beim Dialog nur, um zu zeigen, was er oder sie weiß oder kann. Das reduziert die Anzahl und oft auch die Länge der Redebeiträge, alles wird dichter, intensiver, gehaltvoller. Die Spielchen, die oft in Meetings gespielt werden darum, wer am häufigsten zu Wort kommt, fallen weg und dadurch wird Zeit und Aufmerksamkeit frei für das, was wirklich wichtig ist.

Diese Haltungen wirken sich sehr stark auf das Gespräch aus. Nach außen hin sichtbar ist die Verlangsamung, die entsteht, während innen gleichzeitig viele Dinge wahrgenommen und reflektiert werden. Das Denken des Einzelnen wird komplexer, das Denken der Gruppe wird wie eine Spirale, die sich weiter entwickelt. Es ist, als ob allmählich ein Muster entsteht, wie ein Puzzle aus immer mehr Teilen zusammengesetzt, aber immer noch mit freien Stellen, die gefüllt werden können.

Dialogphasen

Bei seinen Forschungen zum Dialog hat William Isaacs Phasen identifizieren können, die eine Dialoggruppe im Lauf der Zeit durchläuft.

  1. Die erste Phase ist die des „Talking nice“. In dieser Phase ist der Dialog noch wie ein höfliches Gespräch zwischen Menschen. Es wird nicht reflektiert, es wird das gesagt, was die üblichen Gesprächsregeln erfordern. Das Primat der Höflichkeit heißt: „Sag nicht, was du denkst.“

  2. In der zweiten Phase, dem „Talking tough“, werden die Höflichkeitsregeln gebrochen, es wird jedoch noch nicht reflektiert. Hier herrscht das Primat der Auseinandersetzung oder Debatte: „Sag, was Du denkst.“

  3. In der dritten Phase findet ein „Reflective Dialogue“ statt. Es werden sowohl die Inhalte als auch die dem Sprechen zugrunde liegenden Regeln reflektiert. Die mentalen Modelle und Annahmen werden hinterfragt. Hier heißt das Primat: „Tu was Du sagst und sag was Du denkst.“

  4. In der vierten Phase, dem „Generative Dialogue“ wird reflektiert und es werden Regeln generiert. Es wird vorausgeahnt, was sich gerade entwickelt. Isaacs bezeichnet den Zustand, in dem die Teilnehmer sind, als Flow. Das Primat heißt hier: „Beobachte, was Du tust, tu was Du sagst und sag was Du denkst.“

Diese Phasen entsprechen auch meinen Erfahrungen mit Dialogarbeit. Jedoch vermischen sie sich, gehen mal in die eine, mal in die andere Richtung, durchaus auch in Richtung Diskussion. Gerade beim generativen Dialog, einer Dialogform, bei der Themen nicht vorgegeben werden, sondern von selbst entstehen, und bei der viel reflektiert aber auch sehr oft nachgefragt und hinterfragt wird, zeigen sich oft mehrere Phasen gleichzeitig. Hier stellt sich oft das Gefühl ein, dass die Dinge ganz anders sind, als wir bisher gedacht haben. Wenn eine Gruppe dieses Stadium erreicht hat, wirken die Dialoge sehr lange nach. Themen werden im Abstand von mehreren Treffen immer wieder aufgegriffen und auf einer anderen Ebene erneut behandelt. So ziehen sich bestimmte Themen bei meiner „ältesten“ Dialoggruppe, die jetzt (im Sommer 2004) seit zwei Jahren existiert, von Beginn an durch und tauchen alle vier bis sechs Monate in neuen Kontexten wieder auf. Und bei jedem Treffen gibt es tiefere Erkenntnisse und das Gefühl, jetzt noch mehr verstanden zu haben. Das Wissen und die Erkenntnisse scheinen sich zu vertiefen, Komplexität wird immer besser wahrgenommen.

Eine wichtige Bedingung dafür, dass diese Phasen sich entwickeln können, ist die Bildung eines Gemeinschaftsgefühls in der Gruppe. Es ist nicht nötig, dass sich die Teilnehmenden außerhalb der Gruppe treffen, regelmäßige Teilnahme an den Gruppentreffen ist genug. Die Dialoggruppe ist etwas Besonderes für alle, da dort eine Form der Kommunikation stattfindet, die im alltäglichen Leben nur selten möglich ist. Eine Teilnehmerin drückte es einmal so aus: „Es ist schön, dass ich hier nicht political correct reden muss, sondern die Dinge so sagen kann, wie sie mir in den Sinn kommen“. Der Dialog kann als eine Möglichkeit gesehen werden, gestützt durch die Aufmerksamkeit der anderen die eigenen Gedanken erst zu entwickeln, sie quasi in den Raum zu stellen, sie dann von allen Seiten zu betrachten und sich so klar zu werden über das eigene Denken.

Barrieren und Widerstände

Selbst wenn eine Organisation sich entschieden hat, die Dialogmethode zum Austausch von Wissen, für kreative Prozesse oder zur Verbesserung der Kommunikation einzusetzen, sind vielfältige Barrieren und Widerstände zu beachten. Hier muss bereits im Vorfeld geklärt werden, wie mit solchen Faktoren umzugehen ist. Das betrifft neben eingefahrenen Mustern und Hierarchien auch solche, die aufgrund der Ansprüche, die die Methode an die Teilnehmenden stellt, auftreten. Im Folgenden seien nur einige kurz aufgeführt.

Die Freiwilligkeit als Grundbedingung ist bereits erwähnt worden. Ist sie nicht gegeben, wird also jemand zum Dialog „gezwungen“ und stehen aus dem Grund nicht alle Beteiligten, etwa einer Arbeits- oder Projektgruppe, dahinter, dann kommt kein Dialog zustande. Eine Erfahrung aus Seminaren, bei denen ich Dialog eingesetzt habe, ist, dass die Reaktionen auf diese Form der Kommunikation von absoluter Ablehnung bis zu Begeisterung reichen. Beim Dialog ist die Offenheit von Menschen sehr wichtig, da viel Persönliches zutage kommt. Wird Ablehnung oder gar Verachtung formuliert oder gezeigt, dann ist niemand mehr offen, das Gespräch bleibt an der Oberfläche.

Ein weiteres Problem sind verschiedene Sprachen. Das sind einerseits unterschiedliche Interpretationen von Dialog und Gespräch. Was einen Dialog ausmacht, wird erst klar, wenn man bereits Erfahrungen damit gemacht hat. Und um Erfahrungen mit Dialog zu machen, ist deshalb die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, wichtig. Da der Begriff Dialog oft in einem anderen, allgemeineren Sinn von Gespräch benutzt wird, kann es Missverständnisse darüber geben, was damit gemeint ist und welches Ziel damit verfolgt wird. Das Verständnis für Dialog entwickelt sich hier erst allmählich. Im Dialog selbst werden dann die unterschiedlichen Sprachen z.B. von Abteilungen, Branchen oder Ebenen sichtbar und müssen ebenfalls zu einer gemeinsamen Sprache entwickelt werden.

Widerstände und Blockaden können auch auftreten, weil Veränderung oft mit Gewinn und Verlust, mit Arbeit, neuen Arbeitsabläufen, mit Unsicherheit verbunden ist. Diese Faktoren sind in den handlungsleitenden Theorien von Argyris beschrieben worden (Argyris 1997).

Wer sich auf Dialog einlässt, sollte sich auch klar sein, dass sich dadurch Machtverhältnisse und Autoritäten ändern. Kommt ein Dialogprozess in Gang, kann damit hierarchie- und abteilungsübergreifend kommuniziert werden. Themen, die bisher tabu waren, werden möglicherweise aufgegriffen. Es ist schwerer, sich in einer auf Offenheit und Zusammenarbeit ausgerichteten Atmosphäre auf seine Autorität zurückzuziehen. Barrieren und Informationshindernisse können abgebaut werden, wodurch auch Macht ab- und Verantwortung weitergegeben wird (Ellinor & Gerard 2000, S. 176ff und 199ff).

Dialog im Wissensmanagement

Dialog ist im Wissensmanagement vor allem für kreative Prozesse und den Austausch von Wissen und Information einsetzbar. Im Folgenden seien nur einige wenige Einsatzgebiete aufgeführt.

Der Dialog gibt die Möglichkeit, Dinge zu reflektieren, die normalerweise als selbstverständlich angesehen werden. Das können Fachthemen genauso sein wie Abläufe. Hier können unterschiedliche Perspektiven auf Probleme nebeneinandergestellt und so ein größeres Bild entwickelt werden. Arbeitsabläufe und Prozeduren können hinterfragt werden: wie macht jemand seine Arbeit, was ist dabei für sie oder ihn wichtig, wo sind die Schnittstellen.

Eingefahrene Routinen und Verhaltensweisen können so erkannt werden. Es kann festgestellt werden, wo sie sinnvoll und hilfreich sind, aber auch wo sie behindern. D.h., festzustellen, wo eine Organisation oder Gruppe im „das haben wir immer schon so gemacht“ gefangen ist und sich deshalb Veränderungen nur schwer durchsetzen.

Das kann aber auch dazu führen, zu erfahren, was wir alles wissen und bisher nicht wussten dass wir es wissen: „Wenn HP wüsste, was HP weiß...“. Dieses Wissen kann nur an die Oberfläche kommen, wenn wirklich zugehört wird ohne schon im Vorfeld auf bestimmte Dinge zu warten. Wenn wirklich wahrgenommen wird, was sich entwickelt. Damit eröffnet Dialog auch Möglichkeiten in Bereichen, in denen man nicht vorgesucht hat.

Die Effekte, die dabei entstehen, sind sehr schwierig zu messen. Sie werden eher intuitiv wahrgenommen, können dann aber schwer an diejenigen vermittelt werden, die sie nicht selbst erfahren haben.

Ablauf eines Dialogs

Im Laufe der Zeit hat sich meine Anwendung der Dialogmethode entwickelt und verändert. Es gibt unterschiedliche Modelle, wie ein Dialog zu begleiten ist. Sie reichen von Vertrauen in den Prozess ohne Intervention und mit einem allmählichen Überflüssigmachen der Dialogbegleiterin, wie Bohm es beschreibt, bis zu Methoden, in denen Dialoge durchaus in gewisser Weise geleitet werden. Z.B., indem bei Pausen Fragen gestellt werden, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen (Hartkemeyer & Dhority 1998). Je größer meine Dialogerfahrung wird, desto mehr stimme ich David Bohm zu, und desto gelassener werde ich, auch wenn lange Pausen entstehen. Sie sind oft die Zeiten, in denen am meisten passiert.

Es gibt nach Bohm zwei Formen von Dialogen. Die themenzentrierten Dialoge, bei denen im Vorfeld ein Thema festgelegt wird, und die generativen Dialoge, bei denen ein Thema von selbst entsteht, weil es einfach im Raum schwebt. Meine Erfahrung ist, dass es zu Beginn von Dialoggruppen hilfreich ist, Themen oder zumindest grobe Bereiche festzulegen. Im Laufe der Zeit löst die Gruppe sich von selbst davon und entwickelt ihre eigenen Themen.

Die Größe der Gruppe gibt Bohm mit 20 bis 40 an. Seine Begründung ist eine ähnliche wie die von De Maré, nämlich dass in Gruppen dieser Größe das Spektrum der Hintergründe groß genug ist, um alle relevanten Perspektiven abzudecken. Das ist natürlich abhängig von der Gruppe selbst sowie dem Zweck des Dialogs. In meinen Dialoggruppen treffen sich zwischen 10 und 20 Menschen mit sehr unterschiedlichen persönlichen, sozialen und kulturellen Hintergründen regelmäßig einmal monatlich.

Als „Ausrüstung“ für einen Dialog benutze ich ein großes Tuch, das in die Mitte des Tisches oder des Stuhlkreises gelegt wird. Dieses Tuch symbolisiert den Raum, in den gesprochen wird, und in dem das eigentliche Gespräch stattfindet. Außerdem habe ich eine Klangschale dabei, die zu Beginn und zur Beendigung des Dialogs geschlagen wird. Auf diese Art und Weise wird ein Ritual eingeführt, das beim Sich-Einfinden in den Dialog hilft. Nach mehreren Dialogen löst bereits der Klang der Schale Ruhe und Entspannung aus. Als drittes Hilfsmittel benutzen wir einen Redestein. Er hilft, die Rollen festzulegen. Wer den Stein in der Hand hat, spricht, alle anderen hören zu. Der Stein liegt während des Dialogs im Kreis neben der Klangschale und wird jeweils von dort aufgenommen und auch wieder dort hingelegt.

Ich beginne einen Dialog mit dem Schlagen der Klangschale. Danach folgt zuerst ein Check-in. Dabei wird der Stein im Gegensatz zur eigentlichen Dialogphase von Hand zu Hand weitergereicht. Beim Check-in sollen alle Teilnehmenden einmal kurz zu Wort kommen. Was sie dabei sagen, ist nicht entscheidend. Es kann eine Bemerkung sein zu ihrer Befindlichkeit, zu einem Thema, das gerade aktuell ist, oder zu einer Begebenheit, die sie gerade erlebt haben. Ist der Stein beim Check-in einmal im Kreis herum, wird er in die Mitte neben die Klangschale gelegt und die eigentliche Dialogphase beginnt.

Beim Dialog wird der Stein aufgenommen, wenn jemand etwas zu sagen hat. Das kann oft ein bisschen dauern, manchmal wird aber auch sofort ein Thema aufgegriffen, das in der Check-in-Runde auftauchte. Der Redestein gibt nicht nur das Recht, so lange zu reden, wie jemand will. Er gibt auch die Verantwortung, nur Relevantes zu sagen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die ein „normales“ Gespräch dominieren und viel Zeit und Aufmerksamkeit für sich beanspruchen, im Dialog ruhiger werden und weniger dominant. Das Hinlegen und Aufnehmen des Steins führt auch zu kleinen Pausen nach jedem Redebeitrag, die helfen, das Gehörte und Gefühlte zu Ende zu denken. Der Dialog verlangsamt sich, es wird mehr Achtsamkeit möglich. Gerade Teilnehmende, die normalerweise viel reden, erfahren hier oft zum ersten Mal, wie bereichernd wirkliches Zuhören sein kann.

Verlangsamung und Pausen helfen, wirklich über etwas nachzudenken, es von den vielen Seiten zu betrachten, die im Dialog angesprochen worden sind. Es sind gerade die Pausen, in denen kreative Ideen und Einsichten oder Erkenntnisse entstehen. Das Schweigen wird zu einer sehr produktiven Phase im Dialog.

Es ist jedoch nicht unproblematisch. Schweigen muss gelernt sein. Bei den ersten Schweigephasen in Dialoggruppen fühlen sich einige der Teilnehmenden unsicher und unwohl. Wir sind es nicht gewohnt, schweigend im Kreis zu sitzen. Eine meiner wichtigsten Lernerfahrungen als Dialogbegleiterin war, dieses Schweigen der Gruppe zuzulassen ohne einzugreifen durch Fragen, Kommentare oder Erklärungen.

Wenn das Gespräch zu schnell oder zu heftig wird oder wenn jemand noch eine Weile über das bereits Gesagte nachdenken will, dann kann die Klangschale auch während des Dialogs geschlagen werden, und zwar von allen Teilnehmenden. Die Schale klingt ca. ein bis zwei Minuten nach, währenddessen ist Stille.

Die Dauer eines Dialogs wird entweder vorher festgelegt, oder es gibt irgendwann einen Punkt, an dem das Thema einfach zu Ende ist. Dafür ist dann genug Zeit einzuplanen, es sind meist zwischen zwei und drei Zeitstunden, je nach Brisanz und Gruppengröße.

Zum Schluss folgt ein Check-out. Hier wird, wie beim Check-in, der Stein von Hand zu Hand weitergereicht. Hier kann noch einmal etwas Inhaltliches gesagt werden, das vielleicht noch offen ist, es kann auch ein Resümee gezogen oder eine Bemerkung dazu gemacht werden, wie sich jemand gerade fühlt.

Das Schlagen der Klangschale beendet den Dialog.

Kurzes persönliches Fazit

Wie oben bereits beschrieben, sind ein Dialog und seine Ergebnisse nicht planbar. Der Dialogverlauf und das Potenzial des Dialogs sind abhängig von „anhaltendem, ernsthaftem Einsatz“ der Teilnehmenden (Bohm S. 10). Das macht jeden Dialog wieder neu und aufregend und spannend.

Das, was meiner Ansicht nach der Dialog im Gegensatz zu anderen Methoden der Kommunikation von Wissen bietet, ist das geistige Zurücktreten von eigenen Annahmen und damit eine Erweiterung von Perspektiven. Dies ist eine andere Form des Lernens, als es die klassischen Lernsettings mit Vorträgen oder Lernmaterialien bieten. Und es ist eine bewusste absichtsvolle Form im Gegensatz z.B. zu informellem oder unbewusstem Lernen.

Die Möglichkeit, beim Dialog viele Aspekte einer Sache zu sehen oder zu erkennen, hat für mich auch etwas Befreiendes: Ich muss nicht nach der einen Wahrheit suchen, sondern es ist vieles möglich.

Dialog ist für mich zu einer Reise geworden, die mir neue Horizonte eröffnet hat und ich bin gespannt, wohin mich diese Reise noch führen wird.

Literatur

Argyris, Chris (1997): Wissen in Aktion. Eine Fallstudie zur lernenden Organisation. Stuttgart, Klett-Cotta.

Berger, Peter L. & Thomas Luckmann (2004): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt am Main, Fischer. Original „The Social Construction of Reality“. New York, Doubleday, 1966.

Bohm, David (1998): Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Stuttgart, Klett-Cotta.

Bohm, David; Donald Factor & Peter Garrett (1991): Dialogue - A proposal. http://www.muc.de/~heuvel/dialogue/dialogue_proposal.html [20. Juni 2004]

Buber, Martin (1995): Ich und Du. Stuttgart, Reclam. Original 1923.

De Maré, Patrick (1991): Koinonia: From Hate Through Dialogue to Culture in the Large Group. London: Karnac Books.

Dixon, Nancy (2000): Common Knowledge. How Companies Thrive by Sharing What They Know. Boston, Harvard Business School Press.

Ellinor, Linda & Glenna Gerard (2000): Der Dialog im Unternehmen. Inspiration, Kreativität, Verantwortung. Stuttgart, Klett-Cotta.

Hartkemeyer, Martina und Johannes F. & Dhority, Freeman L. (1998): Miteinander Denken. Das Geheimnis des Dialogs. Stuttgart, Klett-Cotta.

Heisenberg, Werner (2003): Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. München 2003. (Erstausgabe 1969)

Isaacs, William (1999): dialogue and the art of thinking together: a pionieering approach to communicating in business and in life. New York, Random House.

Senge, Peter et al. (1996): Das Fieldbook zur Fünften Disziplin. Stuttgart, Klett-Cotta.