Dialog nach Bohm

Kurzanleitung, Erfahrungsbericht und Glossar

Sigrid Peuker, mail@sigridpeuker.de, September 2008

Einfach loslegen: Kurzanleitung zur Gründung einer Dialoggruppe
Ablauf eines Dialogs
Dialogtheorie- und -praxis
Wo kann Dialog eingesetzt werden
Vier Haltungen nach William Isaacs
Zehn Kernfähigkeiten nach J.F. & M. Hartkemeyer und Freeman Dhority

Warum diese Kurzanleitung?

In letzter Zeit werde ich öfter von Menschen kontaktiert, die mich fragen, ob ich in ihrer Region Dialoggruppen kenne, denen sie sich anschließen könnten.

Leider muss ich dann immer antworten, dass ich von keiner Dialoggruppe außer unserer weiß.

"Unsere" Gruppe wurde vor sieben Jahren von Studierenden und SeniorExperten in Berlin gegründet und trifft sich seitdem einmal im Monat.

Falls es Dialoggruppen gibt, die Kontakt mit anderen Gruppen möchten, nehme ich gerne Kontaktdaten auf und gebe die Information in beide Richtungen weiter. Vielleicht entsteht so im Lauf der Zeit eine Vernetzung zwischen den Gruppen.

All denjenigen, die eine Dialoggruppe suchen aber keine finden, rate ich, selbst eine zu gründen. Hinter diesem Rat steht meine Erfahrung, dass Dialog nicht aus Büchern gelernt werden kann, sondern nur durch eigene Erfahrungen.

Einfach loslegen

Ich liefere hier eine "Kurzanleitung" für den Dialog wie wir ihn in Anlehnung an David Bohm praktizieren. Hilfsmittel sind Klangschale und Redestein. Wir gehen von den vier dialogischen Grundhaltungen aus: Respekt, Zuhören, Artikulieren und in der Schwebe halten.

Zuerst sollten sich die Teilnehmenden für eine gewisse Zeit zum Dialog verpflichten, damit die Gruppe sich gemeinsam entwickeln kann. Denn Dialog ist ein Lernprozess. Bohm sagt, es dauert ein bis zwei Jahre, bis man Dialog gelernt hat. Unsere Erfahrung ist, dass man immer weiter lernt und Dialog eine Lebensaufgabe ist.

Helfender Begleiter bzw. Dialogbegleiter

Zu Beginn eines Dialogprozesses führt die Dialogbegleiterin in den Dialog ein: sie erklärt die Hintergründe, das Vorhaben, den Ablauf und ihre Rolle.

Ansonsten achtet eine helfende Begleiterin oder Dialogbegleiterin lediglich darauf, dass der Dialog ein Dialog bleibt. Sie ist keine Moderatorin, sondern normales Mitglied und nimmt ihre Rolle als Dialogbegleiterin nur ein, wenn grundlegende Prinzipien des Dialogs verloren gehen oder sie auf wichtige Punkte hinweisen will. Im Laufe des Dialogprozesses wird sie überflüssig.

Ablauf eines Dialogs

Es haben sich unterschiedliche "Regeln" für den Dialog herausgebildet. Hier die Form, die unsere Dialoggruppe entwickelt hat:

Zu Beginn wird die Klangschale geschlagen.

Es folgt eine Check In-Runde: Jede/r trägt kurz etwas bei und gibt den Redestein an die Nachbarin oder den Nachbarn weiter. Das hat den Sinn, dass jede/r einmal etwas sagt.

Wenn alle dran waren, wird der Redestein in die Mitte gelegt und der eigentliche Dialog geht los. Ab jetzt wird der Redestein immer von der Mitte aufgenommen und auch wieder dorthin zurückgelegt. Man kann entweder von vornherein festlegen, wie lange der Dialog dauern soll oder darauf achten, wann der Dialog von sich aus zu Ende ist. Meist spürt man sehr deutlich, wenn ein Thema sich erschöpft hat.

Der Dialog endet mit einer Check Out-Runde: Jede/r trägt wieder kurz etwas bei. Das kann ein kurzes Resümee dessen sein, was sie oder ihn gerade beschäftigt, was ihr oder ihm auffiel, was er oder sie fühlt oder noch zum Thema sagen möchte uvm.

Danach wird die Klangschale geschlagen und der Dialog ist zu Ende.

Gerade bei neuen Dialoggruppen empfiehlt sich danach noch eine kurze freie Gesprächsrunde über den Dialogprozess selbst.

Dialogtheorie- und -praxis

Für mich hat es sich bewährt, mich parallel zum Führen des Dialogs immer wieder mit dem dahinter stehenden Konzept zu befassen. So kann ich meine Erfahrungen besser reflektieren und bekomme Anregungen, worauf ich im Dialog und auch in anderen Kommunikationssituationen achten kann (Material dazu s. Literaturliste).

David Bohm hat für den Dialog kein festes Regelwerk aufgestellt, sondern sieht ihn als ein gemeinsames Erkunden nicht nur von Inhalten, sondern auch von tiefer liegenden Annahmen, Überzeugungen und Denkprozessen. Das, was wir sagen, denken und fühlen soll wahrgenommen und in seiner Wirkung aufeinander beobachtet werden.

Dialog ist deshalb in seinem Verlauf und in der Kultur, die sich in den Gruppen herausbildet, abhängig von den Menschen, die daran teilnehmen. Jede Dialoggruppe wird zu etwas sehr eigenem. Die Erkenntnisse aus Dialoggruppen und Dialogprojekten führen deshalb, wenn sie schriftlich und teilweise sogar als Methode formuliert werden (z.B. durch William Isaacs oder Freeman Dhority vom MIT Dialogue Project) zu unterschiedlichen Ansätzen und Herangehensweisen.

Für den Einstieg in den Dialog nach Bohm empfehle ich den Text "Dialog - Ein Vorschlag" von David Bohm, Donald Factor und Peter Garrett.

Für weitergehende theoretische Auseinandersetzungen - immer in Verflechtung mit Dialogpraxis! - empfehle ich das Buch von David Bohm "Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen".

Um Dialog im Sinne Bohms besser zu verstehen war für mich das Buch von David Bohm und Lee Nichols, "The Essential David Bohm", sehr hilfreich. Auch wenn sich einige Kapitel mit "Der Dialog" überschneiden, so steht hier das Konzept der Impliziten Ordnung im Mittelpunkt, aus dem heraus Bohm seinen Dialogansatz entwickelt hat.

Johannes F. & Martina Hartkemeyer beschreiben in ihrem Buch "Die Kunst des Dialogs. Kreative Kommunikation entdecken" ein großes Spektrum an Einsatzmöglichkeiten für den Dialog mit Hilfe von Erfahrungsberichten aus der Praxis.

Wo kann Dialog eingesetzt werden

Es gibt keine Rezepte, wo und wie der Dialog am besten eingesetzt werden kann. Hier ist jede/r gefragt, das eigene Kommunikationsverhalten und regelmäßige Kommunikationssituationen zu reflektieren und zu schauen, wo sich durch Dialoggruppen oder allgemein durch dialogisches Kommunikationsverhalten eine neue Qualität in die Gespräche und Beziehungen bringen lässt.

Ich setze Dialog in mehreren Bereichen ein:

Dialog in der interkulturellen bzw. generationenübergreifenden Arbeit, weil das Erzählen der eigenen Lebensgeschichten und Erfahrungen zu mehr Verständnis für die anderen führt und damit zu einer erweiterten Sicht der eigenen Lebenswelten und zu tiefgehenden Beziehungen.

Dialog für Kreativität und Innovation, als bewusstes Hinterfragen unseres Wissens, unserer Überzeugungen und dessen, was wir für möglich halten als Ausgangspunkt für ein Denken in neue Richtungen.

Dialog an der Hochschule als Ansatz einer neuen Lernkultur und als Kompetenz für lebensbegleitendes Lernen.

Die dialogischen Haltungen lassen sich gut mit anderen Methoden für Groß- und Kleingruppenarbeit verbinden. Ich arbeite damit u.a. bei Appreciative Inquiry, World Café oder Prozess- bzw. Weltarbeit und habe die Erfahrung gemacht, dass die Kommunikation zwischen den Teilnehmer/innen dadurch intensiver wird.

Grundsätzlich ist dialogische Kommunikation, d.h. Kommunikation mit Beachtung der dialogischen Haltungen (s.u.) überall einsetzbar, wo es um gute Beziehungen mit anderen Menschen geht.

Vier Haltungen nach William Isaacs

Zuhören heißt, nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst zuzuhören. Welche Gedanken, Gefühle, Assoziationen oder Bewertungen entstehen beim Zuhören? Um das wahrnehmen zu können, muss man dem anderen mit allen Sinnen zuhören.

Respektieren bedeutet, die Meinungen oder Ideen der anderen als genauso legitim anzuerkennen wie die eigenen. Denn sie beruhen auf der je eigenen Lebenserfahrung, die jemand gemacht hat. Das bedeutet aber nicht, dass man damit einverstanden sein muss! Dialog entsteht erst dann, wenn es eigene Standpunkte gibt, die erkundet werden.

Artikulieren/Aussprechen heisst, die eigene Sprache zu finden und die eigene Wahrheit auszusprechen. Das bedeutet auch, von sich zu sprechen und den Mut dazu aufzubringen, das zu sagen, was einem wichtig ist, auch wenn es erstmal ins Unreine gesprochen wird. Dialog ist dann ein sicherer Raum, in dem ausprobiert werden kann, wie sich etwas anhört und beim Aussprechen anfühlt.

In der Schwebe halten bedeutet, die eigene Meinung so vorzutragen, dass die anderen nachvollziehen können, wie sie zustande kam. Es bedeutet auch, so zu sprechen, dass deutlich wird, dass man nicht auf etwas Absolutem beharren wird, sondern nach einer Erweiterung des eigenen Verständnisses und deshalb nach anderen möglichen Positionen sucht.

(Nach: William Isaacs (1999): Dialogue and the Art of Thinking Together. A Pioneering Approach to Communicating in Business and in Life. New York, Random House.)

Zehn Kernfähigkeiten nach Johannes F. & Martina Hartkemeyer und Freeman Dhority:

  1. Haltung des Lernens, nicht des Wissens verkörpern.
  2. Radikalen Respekt für den Gesprächspartner zeigen.
  3. Offen sein für neue Ideen und Meinungen.
  4. Von Herzen sprechen.
  5. Zuhören ohne zu Urteilen.
  6. Verlangsamen und Achtsamkeit entwickeln.
  7. Annahmen und Bewertungen "suspendieren" und die "Leiter der Schlussfolgerungen".
    (D.h. den eigenen Annahmen auf den Grund zu gehen und sich in einem ersten Schritt bewusst zu sein, dass sie nur vorübergehend sind.: "Das ist es, was ich denke, aber ich könnte mich irren. Ich bin bereit, meine Gedanken weiter zu hinterfragen und zu überprüfen, ob sie entweder bestätigt werden können oder nicht." In einem zweiten Schritt versucht man, den Weg des eigenen Denkens nachzuvollziehen und zu erkennen, an welchen Stellen man das, was man wahrnimmt, automatisch interpretiert, wertet und Schlussfolgerungen zieht auf deren Basis man dann handelt.)
  8. Produktiv plädieren.
    (D.h. die eigenen Annahmen und Vorurteile offen zu legen und die anderen zu bitten, dass sie mithelfen, andere Deutungen zu finden.)
  9. Eine erkundende Haltung einnehmen.
  10. Die eigenen Gedanken beobachten, Überzeugungen und Haltungen auf den Grund gehen.

(nach: M.& J.F.Hartkemeyer und L. Freeman Dhority (1998): Miteinander denken. Das Geheimnis des Dialogs. Stuttgart, Klett-Cotta

Seite zuletzt aktualisiert am 19. September 2008.