Erfahrungsbericht nach sieben Jahren Dialoggruppe

Sigrid Peuker, mail@sigridpeuker.de, September 2008

Damit Sie einen Eindruck vom Verlauf einer Dialoggruppe bekommen, fasse ich im folgenden die Dialogerfahrungen zusammen, die ich im Laufe der letzten sieben Jahre gemacht habe. Außerdem verweise ich auf Ansätze, die für mich hilfreich waren.

Unsere Dialoggruppe trifft sich seit sieben Jahren einmal im Monat. (Zu den Ursprüngen s. Text von 2003.) Es ist eine feste Gruppe, die in dieser Zeit zweimal für neue Teilnehmende geöffnet wurde, nachdem die Teilnehmerzahl allmählich zurückgegangen war. Einmal haben wir zwei Dialoggruppen zusammengelegt, einmal neue Interessenten eingeladen.

Die Teilnehmenden sind zwischen 20 und 70 Jahren alt und haben sehr unterschiedliche Lebensentwürfe.

Unsere Themen entwickeln sich aus dem heraus, was in der Check In-Runde auftaucht und von anderen aufgegriffen wird. Das können sehr persönliche, aber auch allgemeine Themen sein. Viele davon sind mehrmals aufgetaucht und wurden dann von Mal zu Mal tiefer besprochen. Dabei geht es z.B. um das Reflektieren der eigenen Lebensgeschichte und Lebenssituation, um Werte und wie sie gelebt werden können, um den Umgang mit Trauer, Krankheit oder Abschiednehmen. Aber auch um den Einfluss der Medien, um Gehirnforschung, um Schule und Bildung oder um Zukunft.

Immer wenn ein Jahr um ist besprechen wir, ob wir den Dialog weiterführen wollen. Wenn ja, verpflichten wir uns, wieder für ein Jahr dabei zu sein.

Für den Anfang half es unserer Gruppe, Regeln zu haben, die einen Rahmen geben. Diese Regeln sind nicht von Bohm selbst aufgestellt worden, sondern von seinen Schülern.

Wir arbeiten mit einer Klangschale, deren Gong den Dialog klar abgrenzt, sowie einem Redestein, der die Rollen sichtbar macht.

Zu Beginn haben wir die zehn Kernfähigkeiten, wie sie die Hartkemeyers und Freeman Dhority formuliert haben, genutzt (s.u. Glossar). Da es schwierig ist, zehn Dinge gleichzeitig im Kopf zu behalten, haben wir uns zu Beginn jeder Dialogrunde drei davon ausgesucht und auf Papptafeln geschrieben in die Mitte unseres Kreises gelegt. Mit zunehmenden eigenen Erfahrungen haben wir uns davon gelöst und den Dialog sich frei entwickeln lassen.

Wenn ich heute Dialogeinführungen mache, arbeite ich mit den vier Haltungen, wie sie William Isaacs formuliert hat. So reduziert sich die Anzahl der Dinge, auf die man im Dialog achten sollte, auf vier, nämlch Respekt, Zuhören, Artikulieren und in der Schwebe halten (s. dazu "Vier Haltungen nach William Isaacs" und "Dialog - Ein Vorschlag").

Die Inhalte der zehn Kernfähigkeiten und der vier Haltungen sind gleich. Mit zunehmender Dialogerfahrung können die vier Haltungen immer mehr Aspekte annehmen, sich ausdifferenzieren und weiter entwickeln.

Wir haben mit themenzentrierten Dialogen begonnen, d.h. es wurde im Vorfeld für jedes Treffen ein Thema festgelegt. Im Lauf der Zeit haben wir bemerkt, dass sehr schnell andere Themen im Raum standen, die uns so gepackt haben, dass wir oft darauf umgeschwenkt sind. Inzwischen führen wir nur noch generative Dialoge, bei denen ein Thema von selbst entsteht, weil es, wenn jemand es anspricht, von anderen aufgegriffen wird. Dabei haben wir festgestellt, dass uns oft dieselben Themen beschäftigen, d.h. dass ein Thema in der Luft zu schweben scheint ohne dass wir den wirklichen Grund dafür sehen können.

Die Größe der Gruppe gibt Bohm mit 20 bis 40 Teilnehmenden an. Seine Begründung dafür ist, dass in Gruppen dieser Größe das Spektrum der persönlichen Hintergründe groß genug ist, um ein Abbild der Gesamtgesellschaft zu liefern. Wir haben mit 15 Personen angefangen, und auch als die Gruppe im Lauf der Zeit kleiner wurde, funktionierte für uns der Dialog noch. Wir finden, dass immer noch genügend unterschiedliche Perspektiven da sind, die wir aufgreifen können, und dass wir selbst als ganz kleine Gruppen viele Anregungen bekommen. Manchmal entsteht dann ein sehr starkes Verbundenheitsgefühl, der Fokus geht weg von den verschiedenen Perspektiven hin zum Erfahren des Verbundenseins auf einer tieferen Ebene.

Von Anfang an bin ich "Helfende Begleiterin" gewesen mit der Aufgabe, darauf zu achten, dass der Dialog ein Dialog bleibt. Ich mische mich aber nur ein, wenn grundlegende Prinzipien des Dialogs verloren gehen. Denn das meiste regelt die Gruppe selbst, so dass das fast noch nie vorgekommen ist. So ist es zwar vom Ablauf her überflüssig, dass ich weiterhin die Helfende Begleiterin bin, aber ich erledige die Dinge, die als Vorbereitung für den Dialog gemacht werden müssen. Das reduziert sich inzwischen auf das Reservieren des Raums und das Schlagen der Klangschale.

Klangschale und Redestein helfen uns, den Dialog zu strukturieren und zu verlangsamen. Die Klangschale wird geschlagen und der Dialog beginnt. Während des Dialogs kann Jede/r die Klangschale schlagen, wenn er oder sie einen Moment Stille braucht. Die Klangschale beschließt auch den Dialog.

Der Redestein wird von denen, die etwas sagen möchten, aus der Mitte aufgenommen und nach Beendigung des Dialogbeitrags wieder in die Mitte zurückgelegt. Nur der oder die Teilnehmer/in, die jeweils den Redestein hält, spricht. Die anderen hören zu.

Zu Beginn gibt es den sog. Check In: jeder trägt kurz ein paar Sätze bei. Das kann etwas zu den eigenen Gefühlen sein, zu dem was in der letzten Zeit passiert ist, oder was einen gerade beschäftigt. Sinn des Check In ist es, dass jeder einmal kurz etwas sagt. Danach wird der Stein an den Nachbarn weiter gegeben. Will jemand nichts sagen, gibt er oder sie den Stein einfach weiter. Zum Schluss der Check In-Runde wird der Stein in die Mitte gelegt. Oft tauchen beim Check In schon die Themen auf, um die dann später der Dialog kreist.

Erst nachdem jeder einmal dran war, beginnt der eigentliche Dialog. Wenn jemand etwas sagen möchte, nimmt er oder sie den Stein aus der Mitte, spricht und legt den Stein anschließend in die Mitte zurück. Das Hinlegen und Aufnehmen des Steins führt zu kleinen Pausen nach jedem Redebeitrag. Diese Verzögerungen helfen, das Gehörte und Gefühlte zu Ende zu denken und den eigenen Gedanken und Gefühlen nachzuspüren. Der Dialog verlangsamt sich und dadurch wird mehr Achtsamkeit möglich. Es können auch Pausen entstehen, und oft sind sie es, in denen kreative Ideen und Einsichten oder Erkenntnisse entstehen. Das Schweigen wird zu einer sehr produktiven Phase im Dialog.

Eine meiner großartigsten Erfahrungen im Dialog war es, als Dialogbegleiterin Stillephasen nicht nur auszuhalten, sondern sie zu genießen. In normalen Moderationen wird dann erwartet, dass die Moderatorin etwas sagt, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen. Im Dialog dagegen hat die Stille eine wichtige Bedeutung. Sie kann z.B. darauf hinweisen, dass etwas sehr intensiv war und alle erst mal für sich darüber reflektieren wollen. Oft bleibt es auch nach sehr emotionalen Phasen für eine Weile still, wenn jemand Dinge mitgeteilt hat, die alle sehr berührt haben. Dann ist Stille die einzig mögliche Haltung, die die Atmosphäre nicht zerstört sondern die Gelegenheit gibt, die entstandenen Gefühle wirklich wahrzunehmen. Wenn das Thema "verdaut" ist, geht das Gespräch weiter. Oder Stille bedeutet, dass das Thema zu Ende ist. Dann wird nach einer Weile jemand mit einem neuen Thema anfangen oder der Dialog kann dann von sich aus zu Ende sein.

Die Länge eines Dialogs kann man entweder vorher festlegen, oder sich darauf verlassen, dass man spürt, wann er zu Ende ist. Letzteres funktioniert mit zunehmender Dialogerfahrung immer besser. Unsere Dialoge dauern meist anderthalb bis zwei Stunden.

Nach dem eigentlichen Dialog kommt ein Check Out: Jede/r trägt wieder kurz etwas bei. Das kann ein kurzes Resümee dessen sein, was sie oder ihn gerade beschäftigt, was ihr oder ihm auffiel, was er oder sie fühlt oder noch sagen möchte uvm.

Danach wird die Klangschale geschlagen und der Dialog ist zu Ende.

Anschließend kann man noch eine kurze Reflexion des Dialogs durchführen.

Seite zuletzt aktualisiert am 12. September 2008.